Donnerstag, April 13, 2006

Arrividerci Cavaliere !

Ein Nachruf auf Silvio Berlusconi
Rom am Tag danach, es ist Dienstag der 11. April. Italien hat gewählt und immer noch steht das Ergebnis nicht so recht fest. Mal hat die von Regierungschef Silvio Berlusconi angeführte „Casa delle Libertá" in der Abgeordnetenkammer die Mehrheit, ein andermal liegt sie beim Anführer des oppositionellen Bündnisses „Ulivo" seines Herausforderers Romano Prodi. In der zweiten Kammer, dem Senat, gibt es über das Ergebnis ebenfalls Verwirrung. Im Laufe des Tages zeichnet sich ein Wahlsieg der Opposition unter Prodi ab. Dieser erklärt sich flugs zum Wahlsieger, kaum ist das Ergebnis recht bekannt. Luxemburg und Paris können es gar nicht erwarten dem Wahlsieger zu gratulieren, da will auch der Präsident der EU Kommission Barroso nicht hintanstehen.
Die Freude ist wohl darüber am grössten, dass jetzt endlich wieder einer der „ihren" regiert, Italien ist endlich wieder „links", das ist die Hauptsache. „Rechts" sind unter den grossen Industrienationen jetzt nur noch die bösen USA, Australien und neuerdings auch Kanada, die Ersteren sind hierzulande (Europa) ohnehin schon lange Hassobjekt Nummer eins, die beiden Letzteren werden in Europa politisch kaum wahrgenommen. Damit sind die wichtigen Industriestaaten Europas wieder politisch gleichgerichtet, Spanien ist sozialdemokratisch, Grossbritannien ist sozialdemokratisch, Frankreich ist konservativ und Deutschland ist irgendwie beides, doch die sogenannten Konservativen in Deutschland und Frankreich sind auch nur Sozialdemokraten, sie tragen eben einen anderen Namen. Und nun gehört mit Italien das letzte bedeutende Land auch wieder ihrem Zirkel an, „rechts" sind jetzt nur noch die bösen Menschen in Wien, Kopenhagen und Den Haag, aber die sind ja, mit Ausnahme Österreichs, nach Europäischen (d.h. nach germanofränkischem) Verständnis ohnehin nur Unterabteilungen von 1600 Pennsylvania Avenue.
Als endlich sicher ist, dass die Opposition die Wahlen wenn auch knapp gewann, beginnt ein Schauspiel, das wir so aus Westeuropa nicht kennen. Ministerpräsident Berlusconi sagt, er werde das Ergebnis der Wahl nicht akzeptieren und bestehe darauf, einige Stimmen nachzuzählen. Es ist der Wohl letzte grosse Auftritt eines Mannes, mit dem Italien wenig und Europa gar nichts anzufangen wusste.
Wer ist dieser Silvio Berlusconi, über dessen Ausscheiden aus dem Amte wohl keine der europäischen Regierungen besonders traurig sein dürfte?
Berlusconi war ab 1994 schon einmal Ministerpräsident Italiens. Die Wahlen 1996 verlor er; damals wurde Romano Prodi Ministerpräsident, doch 2001 kehrte Berlusconi zurück, ausgestattet mit einer Mehrheit, die so im Italienischen Parlament noch nie erreicht wurde. Trotz zahlreicher regierungsinterner Konflikte und vieler Skandale konnte Berlusconi bis heute unangefochten weiterregieren, mit einer Amtszeit von 5 Jahren am Stück ist er sogar der am längsten ununterbrochen amtierende Regierungschef in der Geschichte des Landes.
Berlusconi ist kein typischer Politiker, der Sohn eines Bankangestellten machte eine Karriere, die nur wenigen gelingt. So baute er in der siebziger Jahren zwei Trabantenstädte in seiner Heimat Mailand, damals zukunftsweisende Projekte. Für diese Siedlungen gründete er einen eigenen Fernsehkanal, aus dem seit 1976 sein landesweites Medienimperium heranwuchs, er besitzt heute drei Fernsehkanäle mit einem Marktanteil von 45%, zudem Zeitungen und Zeitschriftenhäuser. Seine geschickte Einflussnahme auf die Regierung Craxi beseitigte gesetzliche Hindernisse beim Aufbau seines Unternehmens. Aus seiner Werbeagentur Publitalia schmiedete er im Jahre 1993 seine Partei Forza Italia. Als diese dann ein Jahr darauf die Wahlen gewann, war Europa geschockt. Ein Populist, zudem ein rechter, ein Medienzar, wurde Regierungschef eines Europäischen Industrielandes, das alles hätten seine europäischen Kollegen wohl noch hingenommen, doch das Schlimmste, dieser Mann war Unternehmer. Er unterschied sich in seinem ganzen Werdegang deutlich von allen anderen, er lernte nicht von Beginn an Politik. Im Gegensatz zu allen französischen und den meisten deutschen Politikern hatte dieser Mann Erfahrung aus der Praxis, er wusste, wie man ein Unternehmen erfolgreich führt, er wusste nicht, wie man sich durch die Instanzen einer Partei boxt. Ihn zu akzeptieren fiel seinen meisten Kollegen schwer, er war einfach keiner der ihren. Um so erleichterter waren sie denn auch über sein jähes und frühes politisches Ende.
Berlusconi hatte so regiert, wie man es allenfalls von einem Politkrimi erwartet. Vom ersten Tage an, begann er das System offen für sich und sein Unternehmen zu nutzen, das Schicksal des Landes war dabei zweitrangig. Berlusconi tat das, was alle anderen seiner Kollegen auch taten, doch tat er es nicht auf die infame nordeuropäische Art, sondern auf eine sehr offene und direkte Weise. Er schnitt sich Gesetze nach seinen persönlichen Bedürfnissen zu, er nutze seine Medienmacht; als Ministerpräsident konnte er nun ja auch die staatlichen Medien kontrollieren und begünstigte so sein Unternehmen, sich selbst und seine Freunde. Den anderen Europäern konnte das nicht recht sein, denn Berlusconi führte seinem Volk und dem Rest Europas nur vor, was Politik wirklich ist und wie sie funktioniert. Er karikierte das System in gewisser Weise und das war die grösste Angst der Europäer. Italien wurde einmal mehr als rückständig, korrupt und politisch unausgereift bezeichnet, doch es nahm die künftige Entwicklung des demokratischen Systems nur vorweg. Als der Dämon Berlusconi dann endlich verschwand, war die Erleichterung gross, endlich konnte man sich auf Italien wieder verlassen, Italien war endlich zurück in Europa und nicht länger eine Bananenrepublik. Der neue Ministerpräsident Prodi stieg sogleich zum Liebling Europas auf, was sich später noch als Vorteil erweisen sollte.
Die Demokratie kennzeichnet sich durch Wahlen, darauf sind Demokraten besonders stolz, die Wahlen ermöglichten einen unblutigen Wechsel der Regierung und so geschah es 1996 auch in Italien. Die Regierung Prodi verlor die Wahl und er war wieder da, Silvio Berlusconi. Er, den sie längst für erledigt betrachteten, konnte nun mit grosser Mehrheit regieren. Und er tat das, was er am besten konnte. Er nutzte das System offen aus. Er verabschiedete Gesetze, die ihm Straffreiheit garantierten, er legalisierte, wie auf ihn zugeschnitten, bestimme Arten der Steuerhinterziehung und er begünstigte seine Medienkonzerne. Auch wenn es kein europäischer Politiker jemals zugäbe, doch insgeheim waren sie wohl alle neidisch, auf Berlusconis Macht und seinen perfiden Systemmissbrauch. Ausser ihm selbst und seinen Unternehmen nutzte Berlusconi die Regierungszeit nicht besonders Produktiv, das politische Vermächtnis Berlusconis ist dürftig. In Erinnerung bleiben wohl nur das landesweite Rauchverbot und einige Gesetze, welche Politiker und Unternehmer vor der Justiz bewahren. Die fundamentalen Probleme Italiens löste Berlusconi nicht, im Gegenteil. Die Staatsverschuldung wuchs weiter an, genauso die Arbeitslosigkeit, das Wirtschaftswachstum lag selbst nach mogeln bei 0,1%. Die ökonomische Bilanz für Italien ist mehr als mager. Italien, siebtreichstes Land der Erde, ist vor allem durch eine Wachstumsschwäche gekennzeichnet, der Industrieverband Confindustria fürchtet gar den Ausschluss aus der G7 Gruppe. In der Regierungszeit Berlusconis sank die Industrieproduktion um 0,6%, der Anteil Italiens am Weltmarkt halbierte sich seit 1995, die Lohnstückkosten stiegen um 10%. Die Verschuldung des BIP liegt bei 106% (Deutschland ohne Renten 68%). Dies ist die Bilanz eines Landes, das fünf Jahre praktisch nicht regiert wurde, vielleicht war dies das Beste, was Italien überhaupt passieren konnte. Italien (nicht etwa Deutschland) ist das Land mit den meisten gesetzlichen Vorschriften, der Unterschied zu Deutschland ist eben, dass es das Gesetz nur auf dem Papier gibt, sich aber (je nach Gesetz und dessen [Un-] Sinnhaftigkeit) kaum einer daran hält, ein letzter unglaublicher Standortvorteil für Italien, gegenüber dem gesetzestreuen Deutschland.
Die Amtszeit von Berlusconi war vor allem Schau. Der inzwischen fast siebzigjährige konnte dies selbst am Tage der Wahl nicht lassen, als er seine Mutter (95 Jahre) ins Wahllokal begleitete. Zeitweise war ganz Europa über seine Schönheitsoperationen und seine Schuhabsätze besser informiert, als über die eigentliche Arbeit der Regierung. Doch auch hier ist uns Italien wieder nur etwas voraus. In der Massendemokratie verkommt Politik zur Schau, gewählt wird der Unterhaltsame, nicht der Langweilige, panem et circenis, doch heute, da sich jeder Brot leisten kann müssen die Spiele dominieren. Der Politikbetrieb der modernen Demokratie degeneriert ganz von selbst zum Staatszirkus. Das grösste Verdienst dieses Mannes ist es, dass er Italien und der Welt gezeigt hat, wie lächerlich das System der modernen Demokratie ist. Als Regierungschef hat man eben alle (Narren-) Freiheit, sich selbst und seine Freunde zu begünstigen, die Macht (nicht nur die der staatlichen Medien) offen für eigene Zwecke zu missbrauchen. Was man bisher allenfalls in Afrika wähnte, erreichte dank Silvio das Herz Europas. Kommende Politikergenerationen sollte ihm dankbar sein, dankbar für diesen Dammbruch. Künftig können Politiker jeder Richtung ihre Macht offen nutzen, sie müssen dies nicht mehr im Verborgenen tun. Am Handeln Berlusconis ist nichts unmoralisches oder verwerfliches, es ist die ganz normale Begleiterscheinung einer Demokratie, sie wird zum eigenen Vorteil genutzt. Berlusconi hat im Amt als Ministerpräsident sehr pragmatisch gehandelt, er sich und sein Unternehmen besser gestellt, jeder andere hätte in seiner Situation das Selbe getan. Berlusconi hielt seinen europäischen Kollegen lediglich einen Spiegel vor, wie naiv muss man sein, zu glauben, ein demokratischer Politiker täte etwas für sein Land. Das ist das politideal von Parlamentsneulingen, das spätestens zum Ende der ersten Legislatur begraben wird. Politiker sind und bleiben Menschen, die einer Klasse angehören, sie sich auf Kosten anderer (und sehr oft ohne deren Zustimmung) bereichern. Insofern hat Berlusconi nur das getan, was alle anderen auch tun. Damit hat er seinem Land geschadet, aber auch dem Ansehen des Staates, insbesondere der Demokratie, zumindest für letzteres sollten wir ihm dankbar sein.